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Tanzlieder

Tanzlieder

Tanzen, Tanzmusik und Singen zum Tanz sind drei Elemente, die seit jeher in engem Bezug zueinander stehen. Die grundlegende Funktion und Wirkung von Tanzliedern oder Texten zur Tanzmusik erlebte ich als junger Musikant mit der Ziehharmonika bei Vereinsfeiern in den 1970er Jahren, dann mit der "Inntaler Klarinettenmusik" bei unzähligen Hochzeiten, Dorftänzen und Volkstanzabenden, aber auch mit den Kollegen der Volksmusikforschung und Volksmusikpflege in Bayern um 1980.

Aus all diesen Erfahrungen und den eigenen Forschungen über Tänze, Tanzmusik und Tanzlieder in Oberbayern entstand 1984 ein kleines Heftchen mit 47 Liedern und Liedfragmenten auf 24 Seiten. Unter dem Titel "Tanzlieder - aus mündlicher und schriftlicher Überlieferung vornehmlich aus dem Landkreis Rosenheim" gab der Bayerische Landesverein für Heimatpflege diese "Arbeitshilfe zur Volksmusikpflege" in einfacher Notenhandschrift mit Schreibmaschinentext heraus. Im Vorwort habe ich ausgeführt:

"Es handelt sich bei der Aufnotierung nur um Skizzierungen und Gedankenstützen für die Praxis, nicht um wissenschaftlich genaue Aufzeichnungen. ...

Die Lieder zu den Tänzen teilen sich in zwei Gruppen:

  • Tanzlieder aus der mündlichen Überlieferung unserer engeren Heimat.
  • Lieder aus der Volksliedpflege, die sich als Tanzlieder bewährt haben.

Es war Absicht, ein möglichst lebendiges, weit umfassendes Bild eines speziellen Teils der Volksmusik zu geben. Vieles mag in den kritischen Augen mancher Zeitgenossen als "unecht" erscheinen, gerade aber bei diesen aufs äußerste funktionsbezogenen Tanzliedern aus der mündlichen Überlieferung lehnt der Herausgeber diese, meist oberflächliche Bewertung ab."

Dieses kleine Heftchen zog weite Kreise und erlebte mehrere Kopierauflagen. Als wir am Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern 1988 die Reihe der Taschenliederhefte (Format DIN A 6) begannen, war die erste Ausgabe aufgrund der großen Nachfrage den Tanzliedern gewidmet. Das Heft "Aufs Tanzn bin i ganga" umfaßte 75 Lieder in der Notenschrift von Michaela Stuffer und erlebte mehrere Auflagen mit insgesamt über 5.000 Exemplaren. Im Geleitwort habe ich Näheres zur Liedgattung der Tanzlieder ausgeführt:

"Betrachtet man die Herkunft der Tanzlieder näher, so werden die unterschiedlichsten Einflüsse erkenntlich: Viele Vierzeiler, Schnaderhüpfl, aber auch Unsinnstexte sind vertreten, die im Volk selbst entstanden oder verändert wurden. Daneben finden sich aber auch viele zurechtgemachte Melodien der 'großen Musik'. Oper und Operette sind ebenso vertreten wie die populären Melodien Wiener und Münchner Volkssänger, nicht zu vergessen ist der Einfluß, die verändernde Übernahme des Schlagers, des zeitgenössischen Liedes, hier besonders auch der Berliner Gassenhauser. So unterschiedlich die Herkunft also ist, eines haben die Lieder dabei gemeinsam: Die Musikanten und Sänger haben sie ganz persönlich zurechtgemacht, verändert, sich angeeignet; das geht so weit, daß bei vielen Liedern die Herkunft nicht oder nur sehr schwer noch aufzuzeigen ist. Den meisten Tanzliedern ist auch gemeinsam, daß sie durch viel Improvisation, Rhythmisierung, Veränderung, neue Einfälle, neue Textunterlegungen, Herausnahmen einzelner Strophen aus ganzen Liedern entstanden sind und zu Tanzliedern wurden. Auffällig ist das Auftreten einiger Melodien, die wir auch von Kinderliedern kennen.

Auf jeden Fall fördern Tanzlieder das auswendige improvisierende Musizieren. Auch spüren wir bei manchen Texten das Maß an natürlicher, nicht verletzen wollender Erotik im Lied, das auch den Tanz als solchen ausmacht. ...

In vielerlei Art werden und wurden Tanzlieder bei uns gebraucht. Die Musikanten sangen oftmals Texte zu den gespielten Melodien, das wurde mancherorts auch von den Tanzenden oder den sitzenden Gästen übernommen. Es gibt eine Vielzahl von Instrumentalstücken, bei denen ein Teil mit Text unterlegt ist. Oft gibt dieser kurze Text dem Stück den Namen. Viele Liedertexte sind Unsinnsverse oder Bruchstücke, die in ihrer markanten Melodie, Text oder Rhythmusgebung von den Tanzenden dazu gebraucht wurden, um der Musikkapelle den nächsten Musikwunsch nahezubringen: Das gewünschte Stück wurde "angesungen", besonders bei den Zwiefachen ist es heute noch üblich.

Bei privaten Winkeltänzen und anderen kleinen Tanzgelegenheiten mit oft nur einem oder manchmal ganz ohne Musikanten erfüllen die Tanzlieder, die gesungene Melodie, die Funktion der Tanzmusik. Auch das Schnaderhüpflsingen beim Tanzen trug zur Lebendigkeit und Mitgestaltung durch die Tanzenden bei. ..."

Jahrelang war das letzte Tanzliederheft vergriffen und wurde nachkopiert. Der steten Nachfrage nach Tanzliedern zum natürlichen Singen auf dem Tanzboden und in geselliger Runde kommen wir mit einer eigenen Folge von Taschenliederheften nach: Tanzlieder 1 bringt auf 24 Seiten 20 Tanzlieder mit umfangreichen Quellenangaben. Weitere Hefte werden in den nächsten Jahren folgen. Eingearbeitet sind die Veränderungen in den Liedern über die vielen Jahre des persönlichen Gebrauches. Berücksichtigt ist die natürliche Zweistimmigkeit im unperfektionierten Singen - und wieder haben wir auf unsere Erfahrungen (aus den letzten 15 Jahren) zurückgegriffen: Texte und Melodien haben sich geändert, Neues ist dazugekommen. Es entsteht wiederum mit diesem Heft eine Momentaufnahme einer in sich überaus lebendigen Liedform im Bereich Volksmusik, die sich eigentlich der Fixierung widersetzt. Viel Freude am eigenen Singen und Tanzen wünscht
Ernst Schusser
Volksmusikarchiv und Volksmusikpflege des Bezirks Oberbayern