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Text zu: Mathias Kneißl oder: Die Kleinen hängt man

  1. Ich bin von Weigertshofen, des sag i ungeniert. / Mei Vata war a Müller, der Paschkolinewirt. / Mei Muatta war a Zweigal vom Paschkolinekern, / drum hört des Hexnweibi die Burschengsangl gern.
  2. Mei Vata hat a Mühl in Pacht vom Sulzemooser Schloß. / Das Leben dort war lustig, das Leben war famos. / De Burschn, de san kemma aus Nahe und aus Fern, / drum hat des alte Weiberl de Burschn ja so gern.
  3. In der Schachermühl geht's lustig zua, des war a Lebn so fein, / der oa hat gstohln a Schafi, da anda gar a Schwein, / da hama oftmals gschlachtlt, frische Bluatwürst hats da gebn, / des war ja in da Schachermühl a ganz a lustigs Lebn!
  4. In der Schachermühl geht's lustig zua, bis schließlich war Alarm, / bis daß des Gschicht is kemma wohl unter die Gendarm. / Mei Muatta, de hams gschlossn, mir Buam, mir san davo, / an Vata hams daschossn, den ehrenbravn Mo.
  5. Jetzt les i aus da Zeitung: d'Schachermühler san verhaft't. / Da hams uns halt schö spöttisch auf Dachau einigschafft, / da hama müassn schwitzn, bis daß der Tag anbricht, / na san ma halt verhandelt wordn am hohen Landgericht.
  6. Am Tage bei der Sitzung, des Ding, des hat uns gfreit, / der Sitzungssaal war angefüllt mit neugierige Leut. / Des Urteil, des hat ghoaßn, des war ja gar net fein, / hat ghoaßn: sechs Jahr Zuchthaus ins Kloster nach Kaisheim.
  7. Vom Zuchthaus bin i entlassn wordn, war wieder a frischer Bua. / Da hab i wieda g'arbat, d'Leut lassn ma koa Ruah, / da Arbatgeber werd zwunga, muaß mir mei Zeugnis gebn, / na muaß i wieda rutschn ins Vagabundenlebn.
  8. Es war bei Altomünster, war dunkl und scho finster, / da kemman zwoa ins Haus, wir saßen eben beim Schmaus. / Da Fleglbauer, der hat gsagt: "Geh Hiasl, sei net zwida / und nimm do glei dein Drilling raus und schiaß de zwoa gleich nieda!"
  9. Jetzt les i aus da Zeitung, des Ding is unerhört: / an Kneißl Hias sei Köpfi is tausend Markl wert! / Der wo de tausend Markl will, der braucht net lang studiern, / mei Drilling, der is gladn, er derf'n grad probiern.
  10. Es war am vierten Mai, in aller Herrgottsfruah, / da gings in Geisenhofen so sakramentisch zua. / Hundertsechzig Mann sind aufmarschiert, zwei Kommissär, ein Arzt, / da hat sich da Kneißl Hiasl hinta die Ohrn a bißl kratzt.
  11. Auf Kommando "eins, zwei, drei!" fliagn tausend Kugln nei, / da Dachstuhl, der hat zittert, das Dacherl fallt glei ei. / Der Hiasl mußte retouriern wohl hinter den Kamin, / des war fürn Kneißl Hiasl a scheißlicher Termin.
  12. Daß an Kneißl Hiasl gfanga ham, des is uns wohl bekannt, / zum Krüppl hamsn gschossn, das woaß des ganze Land. / Als Krüppl hamsn transportiert, a sechs, an acht Gendarm, / es is ja in der Münchnerstadt a fürchterlichs Alarm!
  13. Und tausend Mark san ausgsetzt wordn fürn schöna Kneißlfang. / Des war a saubers Geldl, des hat an schöna Klang! / Am Kahr, da bleibts glei hänga, wia da Marda in da Falln, / muaßt wartn, bis da Staatsanwalt de tausend Mark werd zahln.
  14. Es war ein Weib dabei bei der Kneißlfangerei, / die sah in ihrem Hirn, de tausend Markl fliagn. / De Gschicht, de geht ganz komisch, rutscht aussi übers Gleis, / de tausend Mark san einglöst wordn vom Staatsanwalt von Weiß.
  15. Drei Tag hat d'Sitzung dauert, bis an Hiasl ham verdonnert, / zum Tod hams ihn verurteilt, da hat sich alles gwundert. / Hättns eahm doch fünfzehn Jahrl gebn, er laft nimma davo, / da Fleglbauer ist freiganga, der ehrenbrave Mo!
  16. In Augsburg hams koan Bada ghabt, der an Kneißl ko rasiern. / Jetzt müassns wegn dem Teifiskerl auf Minka telefoniern. / Da beste Bada aus Minka, der hat des Ding probiert / und hat an Kneißl Hiasl zum letzten Mal rasiert.
  17. In Notstuhl hamsn eini, wia ma d'Ochsn bschlagn tuat. / Beim letznmal Rasiern is gflossn no a Bluat. / Der Kerl, der hat grad z'arbatn, des war a wahrer Graus. / Des Liadl is jetzt gsunga, mitn Kneißl is jetzt aus!

Mathias Kneißl wurde am 4. August 1875 als erstes von 5 Kindern eines Müllers und Schreiners in Unterweikertshofen/Kreis Dachau geboren. Der Vater hatte 1868 in die Wirtschaft der aus Italien zugewanderten Familie Pascolini eingeheiratet. Die Jagd auf Kneißl und der anschließende Prozeß waren Tagesgespräch und füllten die Zeitungen. Am 4. März 1901 wurde Kneißl in Geisenhofen gefangen, am 21. Februar 1902 hingerichtet. Vieles im Fall Kneißl, z. B. die Auszahlung des Kopfgeldes erregte den Unwillen der Bevölkerung und trug zur Mythologisierung bei. Kiem Pauli bringt in seiner "Sammlung Oberbayerischer Volkslieder" (München 1934) den Text eines Kneißlliedes, den wir mit der derzeit gebräuchlichen Melodie unterlegten. Kiem Pauli schreibt: "Handschriftlich bekommen von der Kathi Loder, Walkertshofen bei Dachau, 1930. Ludwig Thoma sagte zu mir, daß Kneißl ein anständiger Mensch werden wollte, von allen Meistern als fleißiger Arbeiter geschätzt wurde und nur durch die boshafte Dummheit einiger Überbraven ins Unglück zurückgeworfen wurde. Die Kneißljagd war um 1902 herum. Ich möchte dieses Lied aus dem Grund verewigen, weil sicher später aus dem Kneißl ein zweiter Bayrischer Hiasl gemacht wird und die Dichtung aus seiner Heimat stammt, von Leuten, die ihn gekannt haben." Neufassung EBES 1990.

Heft: Moritaten III, S. 6. (VMA 1992) TA: Michaela und Georg Leidel, R. und S. Linhuber, R. und W. Killermann, Sepp Fink, Conchita Weidacher, Eva Bruckner, 13.3.2006 im VMA.