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Text zu: Thomas Wasensteiner oder Die Jägerlüge

  1. O höret, Leute, was ich euch erzähle, / merket fleißig auf und sagt mir dann, / wie glücklich ist doch jedermann zu nennen, / ja der nicht weiß, was Jägerrache kann.
  2. Diesmal aber hat sichs schwer getroffen, / ein Jüngling starb im fernen Frankenland, / Eberach, so soll die Anstalt heißen, / wo ihn die Jägerlüge hingebannt.
  3. Thomas Wasensteiner war sein Name, / beschäftigt war er stets im Elternhaus, / er ist kaum 27 alt geworden, / durch einen Schuß haucht er sein Leben aus.
  4. Seine Freude war das Wildbratschiaßn, / er ahnte nicht, daß ihm stets droht Gefahr, / aber leider ach zu bald sollt er es büßen, / was doch bei Gott nie eine Sünde war.
  5. Im kalten Wintermonat 95, / da sagte er den Bergen Lebewohl, / der Jäger sah und wollte ihn erschießen, / doch Gott fügte, daß der Schütz treffen soll.
  6. Schnell aus den Bergen noch zur selben Stund / der Heimat zu, das war sein erster Plan, / der Jäger konnte ihn ja nicht erkennen, / drum findet er auch nicht den rechten Mann.
  7. Doch ein Verräter kam herangeschlichen, / pfui möcht ich sagen zu solch einer Tat, / dieser hat nicht bloß die Achtung ganz verloren, / der Fluch wird ihn verfolgen bis ins Grab.
  8. Zur selben Stund noch kamen die Gendarmen, / der Schütze sagt dem Elternhaus adje, / zu Weihnacht saß er in Bad Tölz gefangen, / dann ging es fort nach Tegernsee.
  9. Endlich nach München zur Verhandlung, / der Jäger log, was er nur lügen kann, / und einem Schützen schenkt man keinen Glauben, / das weiß bei uns ein jeder Mann.
  10. 3 Jahr 2 Monat hat man ihm gegeben, / das Schwurgericht hat diesen Spruch gefällt, / aber leider für sein ganzes Leben / sah er die Seinen nicht mehr auf der Welt.
  11. 2 Jahr 2 Monat hat er abgesessen, / dann schloß er seine müden Augen zu, / in unserm Herzen bleibt er unvergessen, / wir wünschen ihm die ewge Ruh.
  12. An einem Sonntag Abend kam die Kunde: / Thomas Wasensteiner lebt nicht mehr, / ein Brieflein hat er kurz zuvor geschrieben, / er sagte schon, daß es das letzte wär.
  13. An seinem Grabe trauern beide Eltern, / und fünf Geschwister stehen tränenvoll, / seine Kameraden hatten nasse Augen, / als diese Nachricht aus Eberach erscholl.
  14. Seine Mutter war in Birkenstein gewesen, / sie flehte dort recht innig für ihr Kind, / da konnte Maria nicht mehr widerstehen, / denn diese Schuld war bei Gott schon längst gesühnt.
  15. Dort oben werden wir ihn wiedersehen, / dort oben, wo die lieben Engel sind, / denn keiner wird von uns verloren gehen, / wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

Der große oberbayerische Volksliedsammler und -pfleger Kiem Pauli (1882-1960) bringt diese Ereignisdichtung über das traurige Schicksal des jungen Isarwinklers Thomas Wasensteiner in den Jahren vor 1900 in seiner großen "Sammlung Oberbayerischer Volkslieder" (München 1934). Er schreibt dazu als Zeitdokument über die Dreißiger Jahre: "Melodie vom Zehnerhirsch. Das sind die so beliebten Moritatenmelodien. Mir kommt es hauptsächlich darauf an, zu zeigen, wie die Leute alle Begebenheiten auf bekannte Weisen dichten". Heute ist das Lied fast vergessen, auch die früher sehr beliebte und bekannte Melodie, die nach dem sehr bekannten Ereignislied vom "Zehnerhirsch" benannt ist, gerät außer Gebrauch. In der vorliegenden Form singt das Lied Sabine Weindorf, München/Ismaning.