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Text zu: "Das denkt niemand in viel Jahren" - Bauern-Klag über das Papier-Stämpfeln

Die aufwendige Hofhaltung an den barocken Fürstenhöfen und die permanenten Kriegshandlungen zwangen die Fürsten und die sie stützende Bürokratie zur Erfindung immer neuer Geldquellen. So kam man in Frankreich auf die Fenstersteuer, nach der alle straßenseitig sichtbaren Fenster steuerpflichtig waren. An den deutschen Höfen erfand man ab der 2. Hälfte des 17. Jh. die Stempelsteuer, nach der Kalender und Spielkarten gegen Gebühr gestempelt sein mussten. Vor allem aber mussten die gesamte Korrespondenz mit Ämtern und alle Amtshandlungen auf gestempeltem Papier stattfinden. Eine Stempelsteuer verursachte auch die ersten Aufstände der Amerikaner gegen die Engländer, die letztendlich zur Unabhängigkeit führten. (WK)

  1. Das denkt niemand in viel Jahren, / wie's jetzt geht auf bauren los; / wers nicht glaubt, der kanns erfahren; / dort und da bekommt mann stoss: / S' hilfft kein bitten, 's hilfft kein betten, / richt mit schelten à nicht viel: / auf die läng wirds mi noch nöthen, / das i durchgeh in der still.
  2. Ich verkauff eh holtz und eysen, / Wagen, pflug, und all mein Viech, / Eh ich mich lass so Callmeisen / lass ich haus und hoff in stich / wann à jeder narr kann sagen / gleich nur grad: ihr bauren! gebts! / ha! ha wo fehlts? mann muss eh fragen: / Bauern! sagts, woher das lebts?
  3. Was mann in der statt thut denka, / ist schon mehr als wie ein Mauth; / Mann Zielt recht auffs gelt verschenka, / wenn ich dran denk, schaurt ma d'haut: / bin dort schon in d'straff verfallen, / wie das ding mich immer schert! / Mein herr pfarra! sagt mirs Z'gfallen, / habt ihr nichts von stämpeln gehört?
  4. Beym Schmid, dem ich bring offt Kohlen, / Habn's mir ein Calender g'schenkt, / Hab just drinnen schauen wollen, / wie offt d'Sonn am himmel hängt; / bin vors selbig Mauth-ambt komma, / hab just g'lessen drin auffs best, / Habns ma mein Calender g'nomma, / weil Er nicht ist g'stämpelt g'west.
  5. Mein Process ist auch dersoffen, / der schon dauert hat à wal, / bin umsonst zum Doctor g'loffen, / S'hilfft ka schrifft, ka murmural; / Hab à läng nicht vor könnt kemma, / war von frost schon aller starr; / Z'letzt mann wollt die schrifft nicht nemma, / weil's Papier nicht g'stämpelt war.
  6. Aber, was das ding will sagen, / bild mirs g'mächlich wohl schon ein,
    wenn ma was in d'statt wird tragen, / wirds halt müssen g'stämpelt seyn; / Wer beym Vieh nichts ein will büssen, / wann manns treibt hin Zum Verkaff, / wird's auf d'welt mit bringen müssen, / S'stämpel-Zeichen auf'm schwaf.
  7. Was wirds aber endlich weren? / denkts an mich: es kommt so weit, / das mann z'letzt bey allen thören / selbst noch stämpeln wird die leüth: / all's, was reiten wird und fahren, / oder gehn in d'statt hinein, / wird niemand passirt als d'Narren, / weil sie ja schon g'stämpelt seyn.

Qu/Dr: Lied Nr. 29 in der "Ebermannstädter Liederhandschrift", geschrieben um 1750 von Frantz Melchior Freytag, Schulrektor zu Ebermannstadt (Staatsbibliothek Bamberg Msc. misc. 580 a), herausgegeben und kommentiert von Rolf W. Brednich und Wolfgang Suppan, DVA (Kulmbach 1972). Der fränkische Schulmann übernimmt hier einen Mundarttext, den Maurus Lindemayr (1723-1783) aus dem Land "Ob der Enns" (Oberösterreich) gefertigt hat und gibt ihn weitgehend in Schriftsprache wieder. TA: Eberhard Hofmann (Kirchenehrenbach/MFR) mit eig. Gitarrenbegl., VMA 28.1.2004.