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Text zu: "Seit den vielen Eisenbahnen" - Bahnbau Rosenheim-Salzburg 1860

1835 wurde die 1. deutsche Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet. Bereits 1840 wurde dann die Strecke München – Augsburg in Betrieb genommen, von wo aus sich das Eisenbahnnetz über Bayern ausdehnte. Schon 1853 war die Strecke der Ludwigs-Nord-Süd-Bahn zwischen Hof und Lindau durchgängig befahrbar. Mit der Bahnlinie zwischen Rosenheim und Salzburg (Eröffnung 15.8.1860) wurde der Anschluss an das österreichische Bahnnetz geschaffen (Verbindung München-Rosenheim bereits 1857). Ein großes Problem stellte das Heer von Arbeitern dar, das den Eisenbahnlinien folgte. Je nach der finanziellen Situation der Eisenbahngesellschaft wurden die Arbeiter beschäftigt - oder sie waren arbeitslos und mußten von den Fürsorgeeinrichtungen notdürftig versorgt werden. Die Eisenbahnverbindungen veränderten die Reisegewohnheiten der Menschen grundlegend (Verschwinden der Postkutsche). (WK)

  1. Seit den vielen Eisenbahnen / gibts so wenig Postillionen. / Was uns sonst das Posthorn blies, / bläst uns jetzt die Lokomotiv.
  2. Jetzt bauens die Bahn nach Rosenheim. / Ei! da wird 's recht lustig sein. / Wenn 's schon am Ende nicht viel tragt, / so habns doch Unterhaltung g'habt.
  3. Auch bauns durch die Donau ein'n Kanal; / das ist ein Jubel und ein Hall. / Jetzt schau ich keinen Menschen an; / ich freu mich auf die Eisenbahn.
  4. Die Eisenbahn wird fortgebaut; / aufs Geld wird aber nimmer g'schaut. / Da sagt einmal ein Schusterbub: / Schulden habn mir eh schon g'nug.
  5. Die Eisenbahn hat gar kein'n Sinn; / es ist ja gar nichts Künstlichs drin. / Wartet nur! in einigen Jahr'n / werden wir schon in Lüften fahrn.
  6. Studiert nur fort, ja meine Herrn, / weil d' Schulden sonst noch größer werdn! / Das Kapital zahlt nichts mehr ab; / es ist schon wieder ein andres da.
  7. In Traunstein ist 's recht lustig gwen; / da hat 's einmal viel Arbeit gegebn. / Da hats gedauert Tag und Nacht / und dennoch habns nix weiter bracht.
  8. Auf einmal ist die Arbeit gar. / Sie sagn: sie baun ein andres Jahr. / Mit der Eisenbahn gehts nicht so geschwind; / derweil kommt noch ein andrer Wind.
  9. Die Arbeitsleut die reisen fort, / sie reisen in ein anders Ort. / Sie gehen alle auseinand / weil halt der Fleck gar nimmer g'langt.
  10. A drei, a vier die bleibn noch da / daß 's nicht ausschaut, als wär 's schon gar. / Lohn kriegns nicht viel auf die Hand, / weil das Geld fast nimmer glangt.
  11. Der Rothschild ist ein reicher Mann, / der uns am End noch helfen kann. / Jetzt gibt man ihm schon drei Prozent. / Möcht wissen, wer noch zahlt am End.
  12. Noch einmal bitt ich: meine Herrn, / studierts alleweil auf g'scheider werdn! / Tuets studiern auf Schulden zahln! / Sonst könnts einmal noch schlecht ausfalln.

Qu/Dr: August Hartmann bringt diesen Liedtext als Nr. 290 in seiner Sammlung "Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert" (München 1907-1913) und fügt folgende Quellenbemerkung an: "Nach einer alten Handschrift, welche sich (im Original) in das Manuskript von Maria Vinzenz Süß's Nachlese zu seinem Werk 'Salzburgische Volkslieder' eingelegt findet, jetzt im Museum Carolino-Augusteum zu Salzburg. Auch in einem Liederbuch von Joseph Rächl, Zimmermann bei Tittmoning an der Salzach und in einem Manuskript der Frau des Bürgermeisters Doppler in Thalgau bei Salzburg; dann in einem Liederbuch von Jakob Berger, Gastwirt im Ludwigsbad bei Leopoldskron (Salzburg). In jedem von diesen ist manches im Dialekt; doch war es offenbar ursprünglich fast ganz hochdeutsch, weshalb ich es so schrieb.". In kritischer und teils verschmitzter Sprache werden finanzielle und wirtschaftliche Probleme aufgegriffen. Schulden, Mißwirtschaft, Planungsfehler und schlechtes Management führen damals (wie heute) zu Arbeitslosigkeit und Not. Die Aktualität dieses Liedes zeigt sich auch in Strophe 12. Der Text wurde auf die um 1860 schon populäre Melodie des Liedes von der "schwäbischen Eisenbahn" gedichtet, das wohl in Zusammenhang mit der Errichtung der Bahnstrecke Stuttgart-Bodensee(1847/1849) entstanden ist (siehe Forschungen von Otto Holzapfel). TA: Michaela Leidel (Hittenkirchen) und Daniel Herrmann (Anzing), Gitarrenbegleitung EB, VMA 6.2.2004.