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Text zu: Der bald todt bald lebendige Kurfürst von Bayern - 1703

Das vermutlich im Oktober 1703 in Nürnberg in Druck erschienene Spottlied auf Kurfürst Max Emanuel beschreibt dessen unglücklichen Feldzug in Tirol. Stil und Versmaß der Reime erinnern an die Dichtung "Grabschrift" von Andreas Gryphius, die mit dem Vers "Ich bin nicht mehr denn du, ich bin, was du, gewesen," beginnt. Anlass dieses Liedes ist der Einmarsch der bayerischen Truppen in Tirol im Juni 1703 (vgl. Text Nr. 10). Durch einen Überraschungsangriff wurde die Feste Kufstein besetzt und in rascher Folge geriet das Gebiet bis Sterzing in bayerische Hand. Am 2. Juli 1703, dem Fest Mariae Heimsuchung, zog Max Emanuel festlich in Innsbruck ein. Die bayerischen Soldaten betrachteten Tirol als erobertes Land, in dem sie nach Art der Sieger hausen konnten. Dies rief bereits Ende Juni 1703 überall Volksaufstände hervor, die sich zu einem permanenten Kleinkrieg ausweiteten, wobei bäuerliche Freischaren von regulären kaiserlichen Truppen unterstützt wurden. Am 22. Juli 1703 mussten die bayerischen Truppen Tirol überstürzt unter äußerst verlustreichen Kämpfen räumen und zogen sich teils nach München, teils Richtung Schwarzwald zurück, um sich dort mit französischen Truppen unter Führung des Marschalls Louis Hector de Villars zu vereinigen. Max Emanuel geriet am 23. Juli selbst in Lebensgefahr bei den erbitterten Kämpfen um Zirl; der unmittelbar neben ihm reitende Kammerherr Graf Ferdinand Philipp von Arco wurde so schwer verwundet, dass er wenige Tage später starb.
Die ungeschützte bayerische Grenze zu Tirol wurde von Tiroler Freischärlern überrannt, die nun an den Bauern, den Dörfern und Märkten des bayerischen Oberlandes Rache nahmen; eines der schrecklichsten Beispiele dafür ist die fast vollständige Zerstörung des Marktes Murnau am Staffelsee. Der Textdichter dieses Liedes setzt gegen die bayerische Propaganda (Fama, Strophe 1, 3 und 5) von den anfänglichen militärischen Erfolgen seine durchaus realistische Darstellung der Vorgänge in Tirol. Der Guerillakrieg der Tiroler Bauern in den engen Alpenpässen lässt den bayerischen Kurfürsten die tödliche Bedrohung am eigenen Leib spüren und zum "Dachs" werden, der sich schnell in seinen Bau zurückziehen muss, oder zum ungeschickten Jäger, der sich auf der Gemsenjagd verirrt, so dass selbst französische Hilfstruppen (Villars, Strophe 8) das Kriegsglück nicht mehr herstellen können. Der für Bayern äußerst ungünstige Ausgang der Tiroler Kampagne wird vom Textdichter als schicksalhaft für das "Stehaufmännchen" Max Emanuel verstanden, was er mit der Einleitungsstrophe "Ich leb und lebe nicht [...] Bald steh ich wieder auf, bald bin ich wieder tot..." sehr bildhaft wiedergibt. (wb)

  1. "Ich leb und lebe nicht in vieler Menschen Herzen", / so pfleg ich mit der Welt und sie mit mir zu scherzen. / Bald steh ich wieder auf, bald bin ich wieder tot, / so daß auch Fama mir nur lauter Unglück droht.
  2. Doch weiß ich es allein, wie sich die Sach befindet, / Ob das Geschrei von mir auf festen Fuß sich gründet. / Ich sag es aber nicht, schweig, als ein Toter, still. / Man weiß nicht, wo ich bin, weil ich 's nicht haben will.
  3. Als in Tirol es mir im Anfang trefflich glückte / Und Alles plötzlich sich nach meinem Willen schickte, / Da war ich vorne dran und überall bekannt; / Ja meiner Taten Ruhm durchfloge See und Land.
  4. Seit aber mir Tirol mit harten Steinen zwagte / Und aus den Pässen mich der engen Klausen jagte, / Sitz ich, als wie ein Dachs, verborgen in dem Loch, / Daß man nichts Sichers weiß auf diese Stunde noch
  5. Von meinem Leben, Tod und Taten mehr zu sagen. / Bald haben Kugeln mich, bald Stein', bald Bäum' erschlagen, / Bald bin ich wieder frisch zu München angelangt, / Wie dann die Fama gern an vielen Mäulern hangt.
  6. Ich leb jetzt oder nicht - kann mir doch Zeugnis geben / Die Freud ob meinem Tod, die Furcht ob meinem Leben, / Daß meinen Feinden ich ein großer Schrecken sei; / Sie richten selbst mir auf ein schönes Grabgebäu.
  7. Im Fall ich aber leb und laß mich doch nicht sehen, / So ist es bis daher nur bloß aus Scham geschehen, / Weil alle Welt mich jetzt wird höhnisch lachen aus, / Daß ich so liederlich komm wiederum nach Haus.
  8. Dem Villars ist sein Sprung im Schwarzwald wohl gelungen, / Ich aber bin so lang unglücklich nachgesprungen / Den Gemsen in Tirol, bis ich mich hab verirrt. / Ach! diese Gemsenjagd hat all mein Spiel verwirrt.

Qu: August Hartmann und Hyacinth Abele bringen den Text in "Historische Volkslieder und Zeitgedichte" (2. Band, München 1910, Nr. 126) mit der Jahreszahl "1703" und u.a. der Angabe "In einem handschriftlichen Sammelband der Staatsbibliothek zu München Cod. germ. 1333 (Ex bibliotheca Palatina Mannh. No. II, 577) Blatt 157. Überschrift: 'Der bald todt und bald lebendige Kurfürst von Bayern'. Am Schluß: 'Anno 1703 8bris' [= Octobris]." Hartmann zitiert zum anonymen Verfasser eine andere Quelle von 1704: "von einem Schelmischen Nürnberger verfaßt und in seiner aller Züchtigungs würdigen Statt getrucket, mir aber von einem Amico zu Donauwörth communiciert worden." Gestaltungsidee und Melodie EBES 2005/2006. TA: Theresia Rothenaicher, Moosach und Monika Hering (Harfe), Miesbach; VMA 5.4.2006.