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Text zu: Innwanderung - Text

Liebevolle Beschreibung von Wasserburg innabwärts mit heimatgeschichtlichem Bezug.

Wo ließe sich wohl vergnüglicher und kurzweiliger wandern als am frischen Wasser? Und nun gar in der grünsten aller Wald- und Flußeinsamkeiten, wie sie den Wanderer am Inn zwischen Gars und Wasserburg umfängt!
Freilich, gute Beine und kräftige Stiefel gehören zu solchen Streifzügen, denn grad wo's am wildschönsten ist, muß man sich Weg und Steg meist selbst suchen und darf auch vor manch nassem Tritt nicht zurückschrecken.
Vom alten Kloster Gars am rechten oder linken Ufer stromaufwärts führt uns ein kurzer Marsch mitten in die weltverlorenste Wildnis: Tief unten die breiten Innwasser, zu beiden Seiten die grünbewaldeten Uferhänge, die sogenannten Leiten, und drüber Gottes blauer Himmel. Und da der Fluß hier immer anders geformte Krümmungen macht, schließt sich oft vor und hinter uns die Aussicht und man meint beim Wandern und Steigen von einem Waldsee zum andern zu gelangen. Dicht am Wasser huschen flinke Schwalben, hoch oben ziehen stolze Reiher, die in unzugänglichen Wänden horsten, ihre sichere Bahn, während da und dort ein Keil Wildgänse aufsteigt. Und im Wonnemond wächst hier das Kräutlein Waldmeister in Menge und später schießen Pilze und Schwämme üppig empor.
Wie muß es da vor Jahrtausenden ausgesehen haben, als der Inngletscher bis zu den Höhen hinauf das ganze Tal füllte und wie muß er sich geplagt haben, diese große Moränenlandschaft durch Eis- und Steingeschiebe auszukratzen, bis bei seinem Zerrinnen alle die Wasser abflössen und diese abwechselnde Gegend hinterließen! Mit Recht vergleicht man manche Strecken mit dem Donaudurchbruch bei Weltenburg, nur daß im Inntal der Genuß nicht, wie bei Kelheim, durch qualmende Fabrikschlote gestört wird. Und ein Menschenwerk, das bei unserer Wanderung durch die schöne Natur schneidet, erhöht den Reiz nur. Ich meine die Königswarter Brücke.
An einem vorspringenden Hang, der den Blick nach oben und unten, wie flußauf- und abwärts gleicherzeit offen läßt, wird Rast gemacht. Und wie die Rauchwölkchen aus der kurzen Holzpfeife, kommen die Gedanken, kommt das Erinnern an die Vergangenheit. Da fließt er, der ungebärdige Alpensohn, immer derselbe seit den verschollenen Tagen, da ihn die Römer Oenus nannten. Aber nicht immer hatte die Einsamkeit hier ihren Sitz aufgeschlagen. Denn im Mittelalter flutete auf seinen Wogen ein Verkehr, von dessen Umfang wir uns heute kaum mehr eine Vorstellung machen können. Aus Wasserburger Mautrechnungen 1469 – 1471 ersehen wir, was für Frachtgut dem Inn damals anvertraut wurde: Wein, Getreide, Salz, Unschlitt, Flachs, Wachs, Tuch, Silber (aus dem Silberbergwerk von Brixlegg-Albsteg), Blei, Kupfer, Zinn, Eisen, Bretter, Balken, Schindeln, Kalk, Steine und Gesäum. Darunter verstand man hauptsächlich Kolonial- und Spezereiwaren (die von Saumtieren über die Alpen getragen wurden), wie Lorbeer, Öl, Pfeffer, Safran, Zucker und merkwürdiger Weise auch Papier, das damals fast ausschließlich italienischer Herkunft war.
Das muß ein Leben und Treiben gewesen sein, wenn so ein Hallerfuhrwerk, wie das aus Schiffen, Beischiffen, Plätten und Mutzen bestehende Schiffzuggeschwader hieß, stromabwärts fuhr oder entgegengesetzt von schweren Rossen gezogen wurde.
Die Flußschiffahrt war ja überhaupt ein Lebensnerv aller Inn- und Salzachstädte. Durch dieselbe erhielten sie ihre breiten Marktplätze, die südliche Bauart ihrer Häuser und die geräumigen Kaufgewölbe darinnen. Nicht umsonst ist St. Nikolaus, der Schutzheilige der Schiffsleute, Patron der Stadtpfarrkirchen von Rosenheim, Mühldorf und Neuötting. Wasserburg hat dafür, gleich Burghausen, einen anderen Schutzherrn der Reisenden, den Pilgersmann und Apostel Jakobus. Diese Stadt hieß ursprünglich "Hohenau", wie das einstige Frauenkloster Altenhohenau nach dem Hauptschiff des Innfahrtszuges der "Hohenau" (Hohenave), genannt. Erst vor hundert Jahren erlosch der Glanz der vielen Innschiffmeisterfamilien. Noch jetzt erinnert ein Glasfenster in der Wasserburger Pfarrkirche an den letzten dortigen Schiffmeister Breitenacher, wie man in Mühldorf noch von den Aspachern und Geigl, in Braunau von der Familie Fink erzählt. Aber all das war und jetzt mahnt kaum ein Lokomotivenpfiff oder fernes Glockengeläut an das geschäftige Treiben der Welt.

Manuskript, überliefert im "Nachlass Rambold Nr. 4/1", Stadtarchiv Mühldorf am Inn. TA: gelesen und gestaltet von Willi Großer (Starnberg); 2.5.2013 VMA.