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Text zu: Nr. 225. – "Iazt hamma scho wied'r a neus Liadl erdicht't" [1805]

Der an der Jahreswende 1805/06 entstandene Liedtext beschreibt aus der Sicht der Tiroler die Vorgänge um die Inbesitznahme des Landes durch bayerische und französische Truppen. Nach dem Sieg Napoleons – und der mit ihm inzwischen verbündeten Bayern – in der Schlacht von Austerlitz (2.12.1805) und den darauf erfolgten Friedensschlüssen von Brünn (10.12.1805) und Preßburg (26.12.1805) wurde Österreich gezwungen, u.a. Tirol und Welschtirol bis Trient an Bayern abzutreten. Für die Tiroler, die seit Jahrhunderten einen Sonderstatus innerhalb der Habsburger Länder beanspruchen konnten, bedeutete dies das Ende ihrer politischen, militärischen und auch wirtschaftlichen Privilegien (Strophe 16 und 18). Der bayerische Landesherr versuchte zwar zunächst durch die Entsendung des "Hofkommissars" Karl Graf von Arco (1769-1856), aus ursprünglich welschtiroler Geschlecht stammend, den Übergang Tirols an Bayern weniger unangenehm zu gestalten, letztlich blieben diese Bemühungen erfolglos. Die im Lied beschriebenen Gegenreaktionen der gleich zu Beginn der Übernahme von den Truppenbewegungen besonders betroffenen Wirte und Bierbrauer erzeugten eine abwartende bis feindliche Stimmung gegen die "neuen Herren" (Strophe 2-3). Militärs, wie der bayerische Oberst "Fritz" von Preysing (Johann Adolf Friedrich von Preysing 1769-1812), gelangten durch die Einnahme der Tiroler Landesfestung Kufstein schnell zu Bekanntheit (Strophe 5). Die Inbesitznahme der Residenzstadt Innsbruck durch bayerisches Militär und Beamte, sowie die kurz vorher erfolgte Abreise der populären Erzherzogin Elisabeth von Österreich, Äbtissin des adeligen Damenstifts, werden als symptomatisch für den Umbruch empfunden. Auch das Überläufertum, bzw. die Denunziationen von Teilen der Tiroler Beamtenschaft werden bis zum Ende der bayerischen Zeit in Tirol ein Problem bleiben und für die bürgerkriegsähnlichen Zustände verantwortlich gemacht (Strophe 13). Als Auslöser dieser negativen Entwicklungen steht im Liedtext Napoleon im Zentrum, halb respektvoll, halb verspottend charakterisiert (Strophen 18 und 21). Der bei erzählenden Liedern nicht ungewöhnliche Hinweis auf die (fiktiven) Dichter des Liedtextes (zwei "Studenten von Augsburg") will vielleicht bewusst die eigentliche Herkunft verschleiern, um drohende Repressionen seitens der bayerischen Zensurbehörden zu vermeiden. Die letzte Strophe bezeichnet das Lied als "dem Boarfürscht" gewidmet, im Gegensatz zu Napoleon, dem das Lied "zum Trutz" gedichtet ist – eine Wendung, die scheinbar die Unterwerfung unter die neuen Gegebenheiten suggeriert? Hochinteressant sind auch die vielen genauen Orts- und Personennamen, die z.B. in den ersten Strophen Ereignisse und Handelnde im Inntal südlich von Rosenheim ansprechen.(WB)

  1. Iazt hamma scho wied'r a neus Liadl erdicht't, / Und wia halt die Tirola Schützen sand g'richt't. / Sie gehn aufs Gebirg, da passen s' brav auf; / Wenn s' an Boarischen segn, so schiaßen s' brav drauf – Und nemma Koan aus.
  2. Da Bräu aus 'n Mühlgrabn war an Offizier; / Zum Rauben, zum Stehlen kimmt eam Koana für. / Auf Audorf, auf Flinschbach, auf Rednfeln heraus / Sie nemant, was s' tragn mögn, gehn wieda nach Haus – Und plündan d' Leut aus.
  3. Da Bräu aus 'n Mühlgrabn der hat recht umg'ramt, / Er hat ja viel Sach mit oan Roß umi g'samt. / Iazt muaß i den Bräu no gen extara fragn / Wiaviel sein allabests Roß mag datragn? – Er werd ma 's ja sagn.
  4. Da Grad vo Niederndorf hats andascht erdacht; / Der hat si schö stad für Windshausen herg'macht. / Auf Nußdorf, auf Beuern da kaman s' mit G'walt, / Ham g'fressen und g'suffa, hat Koana nix zalt, – San s' jung odar alt.
  5. Graf Fritz von den Preysing, ein glücklicher Mann, / Er reist ja auf Kopfstoa, gang selber voran: / "Gebts her euer Festung! gebts her euer G'schloß! / Wann mir sein zu wenig, so kimmt da Franzos. – Gehts aussar und losts!"
  6. Die koasalign Soldatn ham si nimmar auskennt. / Sie sand ja vor Schrecka a 's G'schloß auffi g'rennt, / Schaungt außa beim Fensterl und taten brav woan. / Sie hamt ea halt denkt: "Wenn ma bald warn dahoam! – Da is ja koa Toan".
  7. Er schickt a Stafedn: sie sollten iazt redn, / Wo s' halt die Festung wölln glei übagebn? / "Die Festung die kan er den Augenblick hobn; / Er soll nur grad dösmal ea Leben vaschon'n! – Sie bittn um Pardon".
  8. Als er sich geben hat kaum zu der Rua, / Da kemman die Schützen ganz Hauffa herzua: / "Da habts unsre Stutzen und all unsa G'wehr! / Teats uns nur verschonen! mir wihrn uns nit mehr. – Iazt habts uns scho g'hört".
  9. Die Tirola Schützen die ham iazt a Lebn! / Müaßn Stutzen eiliefern und Brandsteuer gebn. / Was wern denn sie zahlen mit ihren Papier? / Es werd so weit kemma, ma nimmt all ihre Küa – Und kriagn nix dafür.
  10. Dös Inschbruck dös war ja a recht schöne Stadt; / Es fait ja süst nix, als daß 's Törer nit hat. / Das guldane Dachel is mitten darin; / Die schö Residenz die steht a glei danöbn, – San dö Boarischen drin.
  11. Iazt muaß dö alt Lisel halt a no heraus; / Iazt muaß s' ge in d' Flucht ge in d' Steirmark hinaus! / Wia lang sie dort z' lebn hat, dös wissen mir nit. / Es g'schicht ihr grad recht, warum halt't sie damit! – Drum hat s' iaz koan Fried.
  12. Iaz ge ma ge widar auf Lofer hinaus! / Dort is 's da zuaganga, daß g'west is a Graus. / Ma hat Viel daschossen und Viele blessiert. / Mir wölln 's leicht dawarten, bis andaschta wird. – Iaz ham s' uns scho g'spürt.
  13. Da Pflega vo Lofer der war a Spion; / Das steht koan Beamten ja niamals guat o. / Iaz haben s' eam g'fanga, er ligt in Arrest; / Iaz ziagn s' eam ge d' Haut o, das war ja sei Letzts. – Ist selbst dabei g'west.
  14. Die Salzburga Bauan sand viel dabei g'wen; / I glaub halt, es kost't ge den mehran das Lebn. / Warts ös dahoam blieben bei Acker und Pfluag, / Häds d' Felder brav g'arbet, das war für enk guat. – Gelts? iaz wißts ös g'nuag!
  15. Die boarischen Leut die sand halbat nit da; / Sie jagn halt den Koasar ins Ungern hina. / Sie san da wohl g'loffa und all davo g'rennt. / Gell? die boarischen Leut habts a no nia kennt? – Drum seids davo g'rennt.
  16. Iazt ist er a Koasa, tragt an runden Huat – / Hat d' Länder verloren! das wissen mir guat. / Was wird denn er machen mit seinem Papier? / Iazt werd er brav Not leidn und kriagt nix dafür – Für 's Bancopapier.
  17. Iazt ist halt da Koasar auf oamal so wild, / Weil er die Stadt Wean hat a no vospielt. / War er fei dahoam bliebn bei sein liaben Weib, / Hätt er all seine Länder und all seine Leut. – Iazt hat's 'n ja g'reut.
  18. Iazt tuat halt den Koasa da Ding aso Zorn, / Weil er hat das Zeughaus a no volorn. / Koa Stuck und koa G'wehr, koa Pulva, koa Blei! / Sei Bancoamt sicht halt an Ganthäusel gleich; – Das ist nimma reich!
  19. Da russische Koasar ist a dabei g'wen; / Achztausend so sand ja leicht kemma ums Lebn. / Das wöllma den russischen Koasa no sagn: / Koa söttlas G'frass kümma bei uns da nit habn; – Mir müaßten 's daschlagn.
  20. Den König von Preußen hätt a davo tramt, / Ist aber viel z' langsam, er hat si weit g'samt. / Der soll uns na kemma! der war uns da Recht'. / Den wolltma hoam leuchten mit sein ganzen G'schlecht. – Der war uns da Recht'.
  21. Da Koasa vo Frankreich tragt zwiefache Kron / Hat d' Länder erobert, das wissen mir schon. / Gott werd ihm ja geben im Himmel den Lohn, / Auch dem König von Bayern die ewige Kron – Im Himmel darobn.
  22. Zu Olmütz in Mähren war die große Schlacht; / Die boarischen Leut die gebn dennoch nit nach. / Da ham sie s' erscht g'schlagen ja gar bis aufs Haupt. / Da denkt eam da Koasa: "iazt laß i gen aus" – Macht 'n Friedenschluß drauf.
  23. Das Liadlein is g'sunga; iaz hats schon an End. / Gelts? die boarischen Leut habts a no nia kennt? / Er hat brav Soldaten und brav Offizier. / Ös werdsös ja kenna, habt s' selbst in Quartier – Und künnts nix dafür.
  24. Und wannsös wöllt wissen, wer 's Liadlein erdacht – / Das ham zwei Studenten von Augsburg gemacht / Dem Boarfürscht zu Ehren, den Koasa zum Trutz. / Die koasalign Leut san koan Deixel nix nutz; – Ham s' die Boarischen putzt!

Qu: Hartmann/Abele, 1913, Nr. 225 [1805]; Handschriftlich aus Oberbayern. Melodie teils nach überlieferten Melodien völlig neugestaltet, EBES 2015.
TA: Markus Krammer (mit eigener Zitherbegleitung), Ebersberg; VMA 19.4.2015.